Gemeinden erhalten mehr Spielraum bei Einrichtung von Tempo-30-Zonen!
I. Was steht im Koalitionsvertrag?
Die Ampelkoalition hat in ihrem Koalitionsvertrag (KoalV) unter dem Stichwort Verkehrsordnung folgendes vereinbart:
“Wir werden Straßenverkehrsgesetz und Straßenverkehrsordnung so anpassen, dass neben der Flüssigkeit und Sicherheit des Verkehrs die Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung berücksichtigt werden, um Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume zu eröffnen.”
II. Wie war die bisherige Rechtslage?
Das Straßenverkehrsgesetz (StVG) enthielt in § 6 bereits eine Reihe von Ermächtigungen, die den im KoalV genannten Zielen dienen. Das betrifft die Berechtigung zum Erlass von Vorschriften
– zum Schutz der Bevölkerung in Fußgängerbereichen oder verkehrsberuhigten Bereichen, der Wohnbevölkerung oder der Erholungssuchenden vor Emissionen, die vom Verkehr auf öffentlichen Straßen ausgehen, insbesondere zum Schutz vor Lärm oder vor Abgasen;
– zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung und
– zur Verhütung von schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes.
III. Was hat die Bundesregierung vorgeschlagen?
Die Bundesregierung (BReg) hatte unter Federführung von Bundesverkehrsminister Wissing (FDP) vorgeschlagen, diese Regelungen um eine allgemeine Regelung durch Einfügung eines neuen Abs. 4a zu ergänzen, wonach Regelungen auch erlassen werden können zur Verbesserung des Schutzes der Umwelt (einschließlich des Klimas), zum Schutz der Gesundheit oder zur Unterstützung der städtebaulichen Entwicklung, soweit die genannten konkreten Vorschriften das noch nicht erlauben.
Nach der Begründung Gesetzesentwurf bedeutet das, dass mit der gesetzlichen Änderung die Regelungsziele Verbesserung des Schutzes der Umwelt
(einschließlich des Klimaschutzes), Schutz der Gesundheit und Unterstützung der städtebaulichen Entwicklung für sich allein genommen ausreichen, um auf dieser Grundlage eine verkehrsregelnde Bestimmung auf der Verordnungsebene zu erlassen. Es ist nicht erforderlich, dass die darauf basierende verkehrsregelnde Bestimmung auch Zwecke der Verbesserung der Verkehrssicherheit oder der Leichtigkeit des Verkehrs verfolgt. Diese Zwecke können vielmehr außer Acht bleiben. Zudem wird klargestellt, dass Gemeinden bei den nach Landesrecht für die Ausführung der Rechtsverordnungen bestimmten Behörden den Erlass von Anordnungen zur Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, zur Verbesserung des Schutzes der Umwelt (einschließlich des Klimaschutzes), zum Schutz der Gesundheit oder zur Unterstützung der städtebaulichen Entwicklung beantragen können. Dies ist zwar schon heute möglich, soll aber nunmehr in den aufgrund der neuen Ermächtigung erlassenen Rechtsverordnungen im Interesse der Klarheit des Verwaltungsverfahrens ausdrücklich geregelt werden. Umgekehrt müssen die auf Grundlage der neuen Ermächtigung erlassenen Rechtsverordnungen und auf ihnen beruhenden Anordnungen neben der Verbesserung des Schutzes der Umwelt (einschließlich des Klimaschutzes), des Schutzes der Gesundheit oder der Unterstützung der städtebaulichen Entwicklung die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs berücksichtigen.
Konkret schlug die BReg vor in § 6 StVG folgenden neuen Abs. 4a einzufügen:
“Die nach Satz 1 erlassenen Rechtsverordnungen (Anm.: Aufzählung von Ermächtigungen zum Erlass von verkehrsrechtlichen Rechtsverordnungen) und auf ihnen beruhenden Anordnungen müssen neben der Verbesserung des Schutzes der Umwelt, des Schutzes der Gesundheit oder der Unterstützung der städtebaulichen Entwicklung die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs berücksichtigen.”
Der Bundestag stimmte dem Vorschlag der BReg in seiner Sitzung am 20.10.2023 zu.
Im Ergebnis sah das Gesetz also vor, dass mit verkehrspolitischen Maßnahmen nicht nur Ziele der Sicherheit und des leichten Verkehrsflusses verfolgt werden können, sondern auch Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit oder der städtebaulichen Entwicklung. Alle diese Ziele sind gleichgesetzt.
Das hätte bedeutet, dass eine Kommune z.B. Busspuren, Zebrastreifen anlegen, Anwohnerparkplätze oder Tempo-30-Regeln anordnen kann, wenn sie meint, das diene der Gesundheit, dem Klimaschutz oder der städtebaulichen Entwicklung – auch wenn noch keine Unfälle passiert sind.
Diese Gleichsetzung der Ziele ging einigen Bundesländern offenbar zu weit. Der Empfehlung des Verkehrsausschusses, das Gesetz anzunehmen, ist im Plenum am 24.11.2023 nur eine Minderheit gefolgt. Der Bundesrat hat somit dem Gesetz nicht zugestimmt.
Verkehrsminister Wissing bedauerte das Scheitern des Gesetzes im Bundesrat. “Wir wollten den Kommunen mehr Handlungsspielraum vor Ort geben. Offensichtlich ist das seitens der Länder aber nicht gewünscht“, betonte der Minister.
IV. Was hat der Vermittlungsausschuss vorgeschlagen?
Am 06.06.2024 rief die BReg den Vermittlungsausschuss an. Der Vermittlungsausschuss machte den Vorschlag, die streitige Regelung wie folgt zu fassen:
“Die nach Satz 1 erlassenen Rechtsverordnungen und auf ihnen beruhenden Anordnungen müssen neben der Verbesserung des Schutzes der Umwelt, des Schutzes der Gesundheit oder der Unterstützung der städtebaulichen Entwicklung die Sicherheit und die Leichtigkeit des Verkehrs berücksichtigen und dürfen die Sicherheit des Verkehrs nicht beinträchtigen.“
Bundestag und Bundesrat haben am 14.06.2024 dem Vorschlag des Vermittlungsausschusses zugestimmt.
V. Würdigung des Kompromisses
Der gefundene Kompromiss bedeutet, dass mit straßenverkehrsrechtlichen Maßnahmen zwar auch Ziele des Umweltschutzes usw. verfolgt werden können, dadurch aber nicht die Sicherheit des Verkehrs beeinträchtigt werden darf. Diese Einschränkung enthielt die vom Bundestag beschlossene Fassung nicht. Vielmehr hatte das Ziel der Sicherheit des Verkehr das gleiche Gewicht wie die übrigen Ziele.
Mit dem nun beschlossenen Kompromiss wurde die Chance, ein modernes Straßenverkehrsrecht zu schaffen, verpasst. Die Reform blieb auf halbem Weg stecken. Nach wie vor wird im Wesentlichen an die Autofahrer gedacht. Obwohl die neu hinzugekommenen Ziele wie Umweltschutz, Schutz der Gesundheit oder der Unterstützung der städtebaulichen Entwicklung auch zur Verkehrssicherheit beitragen. Durch die Gleichgewichtung aller Ziele wäre die Verkehrssicherheit mitnichten in Frage gestellt worden.
Es bleibt nun zu hoffen, dass Bundesminister Wissing (FDP), als der für den Erlass der Rechtsverordnungen zuständige Minister, alle Möglichkeiten ausschöpft, um den Kommunen die gewollten Entscheidungsspielräume zu eröffnen.v